Die Predigt im Wortlaut:
„Kreuz und Bibelspruch erhitzen die Gemüter – Erneute Diskussion um christliche Elemente an der Kuppel des Berliner Stadtschlosses“, so die Überschrift zu einem der vielen Artikel über die Fertigstellung des wieder errichteten Gebäudes in der Bundeshauptstadt.
Während Befürworter wie Erzbischof Heiner Koch oder Kulturstaatsministerin Monika Grütters auf das historische Vorbild auf dem 1950 von den DDR-Machthabern gesprengten Originalgebäude verweisen und den einladenden Gestus des Kreuzes betonen, empören sich die Gegner über das christliche Symbol. Als vor Tagen bekannt wurde, dass die historische Rekonstruktion der Kuppel noch vor Pfingsten abgeschlossen werden solle, brach die Debatte um das Kuppelkreuz mit großer Heftigkeit wieder auf. Verstärkt wird die Auseinandersetzung diesmal allerdings noch durch ein weiteres christliches Element, das nach dem Abbau der Baugerüste vor ein paar Tagen unterhalb der Kuppel erstmals sichtbar wurde.
In goldenen Buchstaben steht auf einem umlaufenden blauen Spruchband am Fuß der Kuppel eine Kombination aus zwei Bibelstellen (Apostelgeschichte 4,12 und Philipper 2,10): „Es ist in keinem andern Heil, ist auch kein anderer Name den Menschen gegeben, denn in dem Namen Jesu, zur Ehre Gottes des Vaters. Dass in dem Namen Jesu sich beugen sollen aller derer Knie, die im Himmel und auf Erden und unter der Erde sind.“
Nun kann man darüber streiten, ob es klug war, mit der Entscheidung zur historischen Rekonstruktion die christlichen Symbole als gesetzt anzusehen, oder ob es zur Akzeptanz geführt hätte, wenn die Frage vielleicht mit einem Bürgerentscheid geklärt worden wäre.
Durch die von den Medien sehr stark in die Öffentlichkeit getragene Kritik wurden die Verantwortlichen des Humbold Forums unsicher und überlegen, die Debatte darüber nun zuzulassen. Es verstehe sich von selbst, „dass wir uns von jeglichen Macht-, Alleingültigkeits- oder gar Herrschaftsansprüchen distanzieren, die aus diesen Zeichen oder Inschriften abgeleitet werden können“. Die „Süddeutsche Zeitung“ schrieb vor wenigen Tagen mit Blick auf den Bibelspruch von einer „unmöglichen Inschrift“, die „Frankfurter Rundschau“ mutmaßte unter der Überschrift „Auf die Knie gezwungen“, der Spruch sei offenbar weder von Theologen noch von Historikern auf seine aktuelle Bedeutung hin überprüft worden.
Nun äußerte die Evangelische Kirche Berlin-Brandenburg ebenfalls Bedenken gegen die Inschrift. Dass der Bibelspruch beim Wiederaufbau eins zu eins übernommen worden sei, sehe man kritisch. „Der Spruch zeigt eine Mischung aus Bibelzitat und seltsamer Königstheologie, eine restaurative Betonung von machtvollen Alleinvertretungsansprüchen. Für Menschen, die den Kontext nicht kennen, ist das verständlicherweise irritierend.“ Das Kuppelkreuz verteidigte sie dagegen. Es stehe „für Hingabe, Vergebung und Versöhnung.“
Der Berliner Rabbiner Andreas Nachama wünscht sich den Protest der beiden christlichen Kirchen. Er fragt, ob Berlin eine Stadt der Toleranz sei, in der Christen, Juden, Muslime, Religionslose und Religionskritiker friedlich nebeneinander leben und „auf Augenhöhe respektvoll miteinander umgehen“ könnten. In einem Zeitungskommentar beantwortet er seine eigene Frage: „Nein. Berlin ist eine Stadt, die offenbar weiter mit der Vorstellung lebt, dass allein Kreuz und Christentum glückselig machen.“
An einen ähnlichen Vorgang erinnerte dieser Tage der frühere bayerische Kultusminister Hans Maier in der „Frankfurter Allgemeinen“, nämlich an den Kruzifix-Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vor 25 Jahren, das zwei anthroposophischen Eltern aus Bayern Recht gab, die gegen die Schulordnung des Freistaats geklagt hatten. Sie hatten argumentiert, die behördlich angeordnete Anbringung von Kreuzen in Volksschulen verstoße gegen die Religionsfreiheit. Das Bild eines „sterbenden männlichen Körpers“ stehe im Widerspruch zu ihrer Weltanschauung und zu ihren Erziehungsvorstellungen.
Hans Maier erinnert deshalb an die beiden Seiten der Religionsfreiheit, sowohl die Freiheit von Religion (negative Religionsfreiheit) als auch die Freiheit zu Religion (positive Religionsfreiheit) müssten zum Tragen kommen. Indem das Gericht damals die Beschwerde zuließ, brachte es die sinnvolle Balance zwischen den beiden Prinzipien der Religionsfreiheit zu Fall, erklärt Hans Maier. „Es erhob die negative Religionsfreiheit zum herrschenden Ober-Grundrecht.“ In diesem Zusammenhang stellt Maier fest: „Bis heute hat übrigens auch kein Muslim und auch kein Jude in Deutschland die Abhängung von Kreuzen in Schulen verlangt.“
Damit bin ich bei Pfingsten. Die Apostelgeschichte berichtet, dass Menschen mit vielfältigem kulturellem Hintergrund, mit verschiedener religiöser Prägung, sogar mit unterschiedlichen Sprachen einander verstanden haben. Ihnen wurde klar, worauf es ankommt, und deshalb haben sie auch zueinander und einen verheißungsvollen Weg für das Leben gefunden. Für das friedvolle Miteinander der Menschen braucht es ein geistiges Fundament. Damit meine ich nicht eine einzige Konfession, aber ein verbindendes geistiges und geistliches Fundament. Genau das wurde an Pfingsten damals in Jerusalem erlebbar.
Einfache Leute, verängstigte Anhänger Jesu, die sich seit Karfreitag verkrochen hatten, atmen auf, spüren Leben, gehen hinaus auf Straßen und Plätze, sprechen frei von ihrer Überzeugung. Ohne Dolmetscher verstehen sie einander. Pfingsten ist die Vision der vollkommenen Kommunikation, des Miteinander-Redens ohne jede Schwierigkeiten. Aus deprimierten Menschen werden begeisterte Menschen, die an die Zukunft glauben und frei heraus reden.
„Pfingsten ist ein unterschätztes … Fest“, schreibt Heribert Prantl in der aktuellen Ausgabe der Süddeutschen Zeitung. „Was man sich 2020 zum Fest wünscht: Begegnungen, freie Rede und Kommunikation ohne Hindernisse.“ Prantl wird noch deutlicher: „Pfingsten ist eine Anti-Geschichte gegen das Virus.“ „Man kann die Pfingstgeschichte in Corona-Zeiten neu erzählen als Befreiungsgeschichte, als Anti-Geschichte gegen das Virus, das den Kranken und der Gesellschaft den Atem nimmt … Es zwingt dazu, im Haus zu bleiben.“
Der Journalist Prantl erinnert an den biblischen Bericht vom Turmbau zu Babel. Der Mensch, der wie Gott sein wollte, der nur noch sich sah und sein eigenes Interesse verfolgte, verlor den Blick für das Wesentliche, für das Miteinander und das gegenseitige Verstehen. „Pfingsten ist die Vision, dass gegenseitiges Verstehen trotz aller Vielfalt möglich ist.“
Wer aber, so möchte ich fragen, verkündet und bezeugt heute den Menschen die Wahrheit der Botschaft, dass Gottes Geist die Menschen verbindet, so dass sie im Vertrauen auf IHN die Welt menschlich und lebenswert mitgestalten? Vor diesem Hintergrund bekommt die in diesen Tagen vielfach geäußerte Kritik an den christlichen Kirchen verstärkte Bedeutung.
In der aktuellen Ausgabe von „Christ in der Gegenwart“ schreibt Johannes Röser im Blick auf die Pandemie: „Die kirchlichen Nachrichtenagenturen überschlugen sich mit Bettel- und Jammer-Meldungen, wem wieviel wofür Geld entging. Eines aber fehlte im aufgeregten Stimmengewirr: Sinn und Geschmack fürs Unendliche. Gott?“ Weiter fragt der Chefredakteur: „Wo sind die Hirten, die es bräuchte, um den Vielen mit intensivster Kommunikation nachzugehen, darüber hinaus jenen, deren religiöse Sehnsucht nicht ganz erloschen ist, die in der Gottesfrage neugierig geblieben oder sogar neugierig geworden sind, aber anders als es der lehramtliche Standard vorsieht?“ Und er stellt fest: „Ja: Seelsorge findet in der Breite der Bevölkerung nicht statt. Corona machte da nur offenbar, was längst der Fall ist.“
Er verweist auf den Jenaer Philosophen Hartmut Rosa, der in einem Rundfunkinterview bedauert habe, die Kirchen und die Religionsvertreter hätten in der Krise eine gewisse Mutlosigkeit gezeigt. Sie hätten eine sehr defensive Einstellung, ein Gefühl, dass die Gesellschaft nichts von ihnen wissen wolle. Dabei, so der Philosoph, wäre es an der Zeit, „in der Gesellschaft eine religiöse Stimme zu hören“. Genauer: eine christliche. Das Virus habe der Bevölkerung wieder ins Bewusstsein gebracht, dass bestimmte Dinge auch in einer modernen Kultur unverfügbar und nicht beeinflussbar sind. „Religion kann eine Stimme sein, die uns das Verhältnis von Verfügbarkeit und Unverfügbarkeit noch einmal vor Augen führt.“ Es wäre also durchaus eine Chance gewesen, das Urgründige des Religiösen zeitnah und aktuell ins Gespräch zu bringen.
Weil diese Chance, das Religiöse zu verlebendigen, offenbar vertan wurde, mahnt Johannes Röser die Kirche: „Werde wesentlich!“ … „Eine wesentliche Kirche, ein wesentliches Christentum hätte sich wider … alle Geschäftigkeit darauf zu konzentrieren, dieses Glück des ungläubig-gläubigen Staunens, des Liebens mit den besten Kräften zu bekennen und zu feiern. Gottvertrauen eben – mit Weltvertrauen. Dann würde der christliche Glaube auch wieder sprachfähig dort, wo Neugierige und Nachdenkliche vielleicht mehr wagen möchten als das Übliche, Triviale des Allerwelts-Mainstream: Gott wagen“, so schließt er seinen Artikel ab.
Ja, es muss wieder Pfingsten werden, damit die Zögerlichkeit, Ängstlichkeit und falsche Zurückhaltung vieler Christen überwunden werden. Es geht nicht darum, irgendjemandem unseren Glauben, unsere Überzeugung aufzudrängen, aber Pfingsten bedeutet, dass wir mit Mut und in glaubwürdiger Weise die Lebensbotschaft bezeugen und so durch unser konkretes Handeln deutlich wird, dass im Geist Gottes die beste Grundlage für ein gutes und friedvolles Zusammenleben der Menschen – auch unterschiedlicher Prägung – gestaltet werden kann.
Damit erübrigen sich Diskussionen wie jetzt in Berlin um die Kuppel des Stadtschlosses oder vor 25 Jahren um das Kreuz in Klassenzimmern. Dann fassen die Menschen Vertrauen in Gott, zueinander und im Blick auf die Zukunft.
Deshalb gilt es, nicht nur heute, zu rufen: Komm, Heiliger Geist, erfülle die Herzen deiner Gläubigen, entzünde in ihnen das Feuer deiner Liebe und erneuere das Angesicht der Erde!
Text zur Besinnung
In einer Welt so vieler Veränderungen und Krisen,
so vieler Herausforderungen,
aber auch so vieler Chancen für die Zukunft
brauchen wir mehr als
nur Lehren und Ideologien.
Wir brauchen Geist!
(Autor unbekannt)