Die Predigt im Wortlaut:
Die „Diskrepanz zwischen grünen Idealen und grauer Realität war nie größer“ – so eine Überschrift über einem der vielen Artikel zum Weltwirtschaftsgipfel in Davos in der vergangenen Woche. Ein Bericht über die Rede von Donald Trump war betitelt: „Optimismus statt Klimaschutz“. „Gipfel der Armseligkeit“ lautete dagegen die Überschrift zu einem Kommentar zu den Äußerungen und der Kritik von Greta Thunberg.
Dann war aber auch zu lesen: „Die Wirtschaftselite hat ganz andere Sorgen als den Klimawandel“. Damit waren der Wust an Regulierungen gemeint, der die Geschäfte behindert, sowie Handelskonflikte, um sich greifender Protektionismus – weshalb sich die Stimmung der Wirtschaftselite eintrübt.
Die Lage ist spannend: Auf der einen Seite die Sorge um das natürliche Klima, in dem Menschen körperlich gesund leben können, auf der anderen Seite das Argument des Lebensstandards, der erhalten werden soll. Mit beiden Anliegen hängt immer auch die Frage des sozialen Friedens zusammen. Jede Seite fährt mit ihren Argumenten starke Geschütze auf.
Deshalb scheint mir die entscheidende Frage zu sein: Wie kann man einen vertretbaren Mittelweg finden? Dabei geht es dann meines Erachtens um die Grundeinstellung und die Haltung, von der aus wir leben und handeln. Letztlich darf es nicht darum gehen, die andere Sicht und damit die Gegenseite, also die Menschen, die dahinterstehen, niederzumachen, sondern sie für einen verantwortungsvollen gemeinsam Weg zu gewinnen.
Es geht also um die Frage, worauf wir im Leben setzen, und wovon wir unser Glück erwarten. Es geht um Sinn und Ziel unseres Lebens. Diese Frage betrifft alle, den Manager in einem Konzern, ebenso den sogenannten „kleinen Mann“ bzw. die „kleine Frau“, wie auch denjenigen, der den gängigen Lebensstil kritisiert und auf radikale Veränderungen pocht.
Es kommt auf den Weg an, den die Menschen in ihrem Leben gehen, und damit die Frage, ob sie das Leben nur in materiellen Kategorien bewerten, ihr Vorgehen nur von eigenen Interessen geleitet ist und damit über kurz oder lang zu Egoismus, Unmenschlichkeit, Härte, Kälte und somit zu einem nicht erstrebenswerten Ziel führt.
In der Lesung haben wir die Vision des Propheten Jesaja gehört, der sich fragt, was geschehen wird, wenn der Herr sich seinem Volk zuwendet, das durch seinen Eigensinn in große Bedrängnis geraten war: „Das Volk, das im Finstern wohnt, sieht ein helles Licht; über denen, die im Land der Finsternis wohnen, strahlt ein Licht auf.“ Der Evangelist Matthäus greift diese Erwartung auf: „Das Volk, das im Dunkel lebte, hat ein helles Licht gesehen; über denen, die im Schattenreich des Todes wohnten, ist ein Licht erschienen.“
Matthäus verweist auf das Licht, das den Menschen inzwischen aufgegangen ist, nämlich auf Jesus. Der entgegenkommende Gott eröffnet den Menschen durch Jesus einen neuen Weg, einen, der ihnen Zukunft schenkt und sogar über diese begrenzte irdische Zeit hinausführt.
Es ist bemerkenswert, dass der Evangelist Matthäus – bevor er vom öffentlichen Wirken Jesu und der Berufung der ersten Jünger berichtet – zunächst die Lebenssituation der Menschen andeutet. Er spricht vom „Volk, das im Dunkel lebt“ und von denen, die „im Schattenreich des Todes wohnen“, also von den Aussichtslosigkeiten, Hilflosigkeiten, Trostlosigkeiten der Menschen.
Um ihnen die heilsame Zuwendung Gottes nahezubringen, beruft Jesus Jünger, als erste die Fischer Simon und Andreas. Sie ließen ihre Netze liegen und folgten ihm, ebenso Jakobus und Johannes. Sie verließen Boot und Vater und folgten Jesus. Er ruft sie heraus aus ihrem alltäglichen Geschäft, denn es gibt Wichtigeres für sie zu tun als nur Geld zu verdienen, um den Hunger, der sich im Magen bemerkbar macht, zu stillen.
Es ist bemerkenswert, dass der Ruf zur Nachfolge: „Kommt her, folgt mir nach!“, wörtlich aus dem Urtext übersetzt bedeutet: „Auf, hinter mich!“ Er geht also voran, zeigt den Weg, ist der Schrittmacher zu einem hoffnungsvolleren Leben. Die Jünger sind Schüler Jesu, so nennt sie Matthäus bewusst und zitiert deshalb in seinem Evangelium Jesus immer wieder mit den Worten: „Lernt von mir!“
All den Menschen, denen es schlecht geht, wendet Jesus sich zu. Deshalb wird er nicht müde, seinem Volk das Evangelium vom Reich zu verkünden, und Krankheiten und Leiden zu heilen.
Als eine der ganz schlimmen Krankheiten, der Seuchen unserer Zeit, möchte ich es bezeichnen, nur materielle Werte zu sehen, und das Leben eines Menschen vor allem nach finanziellen Maßstäben zu beurteilen, zu fragen, was er bringt, was er kostet. So werden Menschen nur nach ihrer körperlichen Stärke, nach ihrer Arbeits- und Leistungskraft taxiert, und schließlich wird Leben nicht nur gegeneinander ausgespielt, sondern auch selektiert.
Es ist schlimm, wenn Menschen nur nach ihrem Äußeren, nach ihrem „Outfit“ bewertet werden.
Es ist schlimm, wenn viele nur ihren Vorteil sehen, und ohne Rücksicht auf wichtige Grundlagen oder Zusammenhänge ihren Gewinn suchen. Im Grunde unterscheidet sich dabei der sogenannte kleine Mann nicht von hochdotierten Stars, Spitzensportlern, Stimmungs-, Trend- und Meinungsmacher in den Medien bis hin zu den Konzernmanagern. Das Verhaltensmuster ist jeweils identisch, auch wenn die Dimensionen anders sind.
In all diesen Verhaltensweisen gilt auch heute noch das, womit Jesus seine Verkündigung begann: „Kehrt um! Denn das Himmelreich ist nahe.“
Der Evangelist Matthäus schrieb seinen Lebensbericht über Jesus in der Übergangsphase von der zweiten zur dritten Generation der Christen, in einer Zeit, in der die Frohe Botschaft madig gemacht wurde, die Christen unter Druck geraten waren und viele der Mut verlassen hatte. Im Blick auf seine Gemeinde ging es ihm darum: Wir dürfen nicht müde werden zu verkünden, denn wenn die Liebe nachlässt, wird es kalt in der Welt.
Er sieht es als Gipfel aller Not an, wenn die Liebe erkaltet. Deshalb will Matthäus mit seiner Verkündigung bewirken, dass Liebe zunimmt! Deswegen betont er ganz stark: Die Liebe zu Gott und die Liebe zum Nächsten bedingen einander. Diese Grundhaltung hat dann auch Konsequenzen in den alltäglichen Bemühungen um unsere Welt.
Im Blick auf unsere Zukunft, sowohl in der Sorge um das Klima, wie auch um ein gerechtes Wirtschaftssystem, ist es wichtig, die grundlegende Frage nach unserer inneren Haltung zu stellen. Von daher gilt es, mit aller Konsequenz die Frage nach dem Wirtschaftssystem zu stellen: „Gibt es für das ökonomische, wirtschaftliche Gebaren ethische Standards und ist der Superkapitalismus zu bändigen?“
Ebenso ist im Blick auf die Ökologie die Frage zu stellen: Geht es beim Engagement für das Klima „nur“ um unsere eigene körperliche Gesundheit oder grundsätzlich um das Bewusstsein für die Bewahrung von Gottes guter Schöpfung, und von daher um einen verantwortungsvollen Umgang mit den natürlichen Ressourcen?
Sowohl für die Ökologie wie auch die Ökonomie geht es darum, Menschen zu sensibilisieren für ihre augenblickliche Verantwortung und die Nachhaltigkeit, um sie für ein verändertes Verhalten zu gewinnen ohne sie, weil noch nicht so weit sind, an den Pranger zu stellen.
Die grundsätzliche ethische Frage, was menschlich und gut ist, muss aber auf allen Ebenen unserer Gesellschaft geführt werden, und sie muss schon mit der Werteerziehung beginnen.
Der Mensch ist nicht glücklich, wenn es allein nach Recht und Gesetz zugeht. Recht ist nur dann gut und wirkungsvoll, wenn es verwurzelt ist in Liebe, Erbarmen, Barmherzigkeit. Genau das ist ein entscheidender Unterschied zwischen einem noch so formal korrekten Verhalten und dem Reich Gottes. Deshalb sollen Petrus, Andreas, Jakobus, Johannes und die anderen Jünger Menschenfischer werden, denn sie sollen Menschen auffangen und vor dem Untergang retten.
Der Evangelist Matthäus erinnert mit seinem Bericht diejenigen, die damals ängstlich und verzagt waren, die verlacht und verfolgt wurden, daran, dass sie das Licht Jesu in die Dunkelheiten der Welt bringen sollen. Ebenso erinnert diese Berufungsgeschichte auch uns an unseren Auftrag in der Welt, mit SEINEM Licht das Dunkel unserer Tage zu erhellen.
Das Evangelium endet: „Er zog in ganz Galiläa umher, ..., verkündete das Evangelium vom Reich und heilte im Volk alle Krankheiten und Leiden.“
In der Begegnung mit IHM ging für die Menschen die Sonne auf. Ihr Leben stand in einem neuen Licht. Es ist deshalb eine grundsätzliche Frage, ob wir das Leben vom höchstmöglichen wirtschaftlichen Erfolg her bewerten und ob wir es vom aktuellen ökologischen Verhalten her beurteilen, oder ob wir im Licht SEINER Frohen Botschaft den besten Weg für die Welt und eine lebenswerte und menschenwürdige Zukunft suchen.
Der Auftrag Jesu ist, den Menschen die Frohe Botschaft zu verkünden und durch das eigene Verhalten zu bezeugen, ihnen den Weg in eine gute Zukunft zu eröffnen, sie zusammenzuführen und ihnen Last und Sorge abzunehmen.
So kann auch die „Diskrepanz zwischen grünen Idealen und grauer Realität“ überwunden werden, und Menschen können gemeinsam einen guten Weg in die Zukunft finden und gehen – den Weg mit Gott! Aber über diesen Weg wurde bislang weder bei den Klima-Demos noch beim Weltwirtschaftsgipfel gesprochen. Das wäre aber notwendig, denn es geht ums Leben und die Grundeinstellung und die Haltung dazu!
Domkapitular Clemens Bieber
www.caritas-wuerzburg.de
Text zur Besinnung
Wir loben dich, Gott, für deine Nähe,
denn du bist uns nicht fern.
Wir danken dir, Gott, für deine Gegenwart,
denn du lässt uns nicht allein.
Wir loben dich, Gott, für deinen Segen,
denn du bist um uns besorgt.
Wir danken dir, Gott, für deine Gnade,
denn du lässt uns nicht im Stich.
Wir loben dich, Gott, für deinen Frieden,
denn du überlässt uns nicht dem Streit.
Wir danken dir, Gott, für deine Barmherzigkeit,
denn du lässt uns nicht fallen.
Wir loben dich, Gott, für deine Liebe,
denn du schaust uns immer an.
Wir danken dir, Gott, für deine Treue,
denn du trägst uns auf Händen.
(Autor unbekannt)