Die Predigt im Wortlaut:
Ein besonderes Erlebnis gab es in der vergangenen Nacht: Seit langem drangen in der Mitte der Nacht, am Wechsel vom alten zum neuen Jahr, die Glocken unserer Kirchen durch. Nicht das Krachen und Böllern der Raketen und Feuerwerkskörper gaben an der Jahreswende 2020/2021 den Ton an, sondern der Klang unserer Kirchenglocken.
Das bisher gewohnte Feuerwerk war verboten. Der Grund dafür war die Sorge, dass durch die alljährlich vielen Verletzten in der Neujahrsnacht die Krankenhäuser, die derzeit mit zahlreichen Corona-Patienten alle Hände voll zu tun haben, überfordert sein könnten. Diese besondere Situation, in der sich nicht nur unser Volk, sondern alle Länder befinden, hat letztlich dazu geführt, dass zumindest wir in Deutschland am Jahreswechsel vom Klang der Glocken begleitet wurden.
Vor diesem Hintergrund ist es interessant, wieder einmal der Geschichte des für manche Zeitgenossen so wichtigen Feuerwerks nachzugehen. Die alten Römer hatten den ersten Monat dem Gott Janus geweiht, der Gottheit mit dem doppelten Gesicht – mit der hellen und der finsteren Miene. Die alten Römer glaubten, dass sich durch Krach und Feuer das düstere Gesicht des Janus abgewendet würde.
Immer wieder verbindet sich auch schon in der vorchristlichen Denkweise die Hoffnung, mit dem Getöse einerseits böse Geister zu vertreiben und zugleich die Vorfreude auf ein neues und hoffentlich gutes neues Jahr auszudrücken.
Die Feuerwerke, wie wir sie kennen, gehen auf die Erfindung des Schwarzpulvers vor etwa eintausend Jahren in China zurück, und kam vor über 600 Jahren nach Europa. Mit der – wie wir es kennen – sichtbaren bunten Vielfalt, soll dargestellt werden, dass die Freude gegenüber allem Dunkel und Beängstigendem überwiegen möge.
Nun war es nicht Absicht der Verantwortlichen im Staat, mit der aktuellen Entscheidung den Kirchenglocken Gehör zu verschaffen, dennoch wird in der vorsorglichen Abwehr von Gefahren, ein beachtenswerter Nebeneffekt bedeutungsvoll, nämlich gerade durch das hörbare Läuten unserer Kirchenglocken am Wechsel des Jahres 2020 zum neuen Jahr 2021.
Niemand hätte sich vor einem Jahr vorstellen können, was das nun vergangene Jahr an Herausforderungen, Zumutungen, Belastungen und Schicksalen mit sich bringen würde. Dabei geht es nicht nur um die ökonomischen Folgen, die uns noch lange einiges an Einschränkungen abverlangen werden, es geht um die gesundheitlichen Gefahren, die auch nach der durch die Impfungen irgendwann erreichten sogenannten Herdenimmunität längst nicht aus der Welt geschafft sein werden, und es geht um die nachhaltigen Veränderungen im Sozialverhalten etwa durch Vorsicht und Zurückhaltung, wie Menschen einander begegnen.
Das kleine, eigentlich unsichtbare Virus wirkt sich unheimlich gewaltig aus wie die bösen Geister, die die alten Römer mit ihrem Brauchtum zu vertreiben suchten. Deshalb fragen sich gerade jetzt zu Beginn des neuen Jahres 2021 viele Menschen: Welches Gesicht wird das nun auf uns zukommende Jahr zeigen, ein düsteres oder vielleicht ein überwiegend wieder helles, freundliches und damit frohes Gesicht.
- Gelingt es, die um sich greifende Infektion einzugrenzen?
- Macht meine eigene Gesundheit gut mit?
- Wie geht es privat weiter?
- Wird mit den Kindern, den Enkeln alles gut gehen?
- Bleibt meine Ehe, unsere Familie lebendig?
- Schafft es die Wirtschaft stabil zu bleiben?
- Kann die Zahl der Arbeitslosen gering gehalten werden?
- Wie geht es für mich selbst beruflich weiter?
- Was beschert uns die Umwelt, die Natur,
und was bescheren wir ihr?
Genau wegen dieser Fragen, die wahrscheinlich nicht alle, aber doch sehr viele Menschen am Beginn des neuen Jahres bewegen, erachte ich es als bedeutungsvoll, dass der Klang der Kirchenglocken zu hören war. Mit dem Geläute von den Türmen unserer Gotteshäuser sollen keine vermeintlich bösen Geister vertrieben werden, sondern der Hinweis auf Gott soll hörbar werden, der uns mit seinem Segen in und durch das neue Jahr begleiten wird.
Deshalb ist es bedeutsam, dass das Evangelium des heutigen Tages auf die Hirten verweist. Sie sind die ersten, die von diesem Retter erfuhren, und sie mussten ihn draußen vor der Stadt suchen, schließlich als Kind – in einer Futterkrippe.
- An einem Ort und in einer Situation, wo man von alleine nicht suchen würde.
- Da, wo es stinkt und mieft – im Stall.
- Und schließlich, dass es einen Engel braucht, der den entscheidenden Hinweis gibt und sogar noch hinführt.
Ebenso braucht es für die Menschen im neuen Jahr überzeugte und überzeugende Botschafter für den Weg mit Gott in eine gute Zukunft. Das ist unsere Sendung, unser Auftrag als Christen, als Kirche, den Menschen in unserer Zeit den entscheidenden Hinweis auf Gott zu geben. Deshalb bleibt zu hoffen, dass wir über allen Struktur-, Macht- und Ämterfragen und damit verbunden über aller Selbstbeschäftigung das Zeugnis für den menschenfreundlichen Gott in Wort und Tat nicht vergessen.
Ein zweiter sehr bedeutsamer Hinweis steckt im heutigen Evangelium: Lukas erwähnt zum ersten Mal nach der Geburt den Namen Jesus. Der Name ist Programm und damit Angebot und Aufruf für die Menschen. Unser Gott zeigt uns heute nicht zwei Gesichter, wie sie die alten Römer in Janus entdeckt hatten, unser Gott zeigt uns Jesus und in Jesus sein wahres Gesicht.
Jesus – Jeschua, Gott ist Heil – also nicht nur in einer heilen Hochglanz-Welt, sondern vor allem auch da, wo es nach Heil schreit. Die Hirten haben ihn dort draußen gefunden, weil sie auf den Engel gehört haben und sich von ihm leiten ließen; weil sie nicht äußerem Glanz folgten, sondern ihrer inneren Gewissheit, dass Gott immer und überall bei ihnen ist, und weil sie einen Blick für das Kleine und Unscheinbare hatten. Das Heil Gottes wird also gewiss nicht erfahrbar in den vielen Glücksversprechungen unserer Tage, die uns über alle möglichen Medien und Kommunikationswege zukommen – allenfalls über das glaubwürdige Zeugnis von beherzten Menschen und von Gott be-geist-erten Menschen, die sich als SEINE Boten erweisen.
„Jesus – Gott ist Heil“, auch wir können IHN finden – an jedem Tag des neuen Jahres. Auch wir können IHN suchen in dem, was uns klein, unbedeutend, ungewöhnlich, was uns bedrohlich, beängstigend und fremd vorkommt. Deshalb dürfen wir uns vom Lärm des Alltags nicht betören lassen, sondern – wie in der vergangenen Nacht plötzlich möglich – hellhörig werden für den Klang seiner Botschaft. Deshalb habe ich in der vergangenen Nacht zum Beginn des neuen Jahres vielen Freunden und Bekannten das Lied „Nun danket alle Gott“ zugeschickt, in dem es heißt: „Der ewigreiche Gott / woll uns bei unserm Leben / ein immer fröhlich Herz / und edlen Frieden geben / und uns in seiner Gnad / erhalten fort und fort / und uns aus aller Not / erlösen hier und dort.“
Ein dritter für uns am ersten Tag des neuen Jahres wichtiger Hinweis steckt in den biblischen Texten unseres Festgottesdienstes:
Im sogenannten Aaronitischen Segen wird Gottes Heil den Menschen zugesprochen: „Der Herr segne dich und behüte dich. Der Herr lasse sein Angesicht über dir leuchten und sei dir gnädig. Der Herr wende dir sein Angesicht zu und schenke dir Heil. So sollt ihr den Israeliten sagen.“
Diesen Segen können auch wir uns zusprechen: jeden Morgen, und so den Tag beginnen, als Partner, in der Familie, gerade gegenüber den Kindern. „Der Herr wende dir sein Angesicht zu und schenke dir Heil.“ Wir können es tun im Wissen, dass dieses Heil einen Namen hat, nämlich Jesus. Ihn dürfen wir beim Wort nehmen, indem wir jeden Tag in seinem Namen und in SEINEM Zeichen beginnen.
Von IHM gestärkt können wir ein Segen füreinander sein, indem wir jetzt nicht allein auf die Wirkung des wichtigen Impfstoffes hoffen, sondern durch unser verantwortungsbewusstes Handeln aus dem Geist und dem Auftrag der Frohen Botschaft zum Dienst am Nächsten Gefahren verhindern und Not lindern.
2021 wird dann nicht einfach ein Jahr, das uns in eine ungewisse Zukunft führt, sondern ein Jahr, in dem ich erfahren und erleben darf: „Der Herr wende dir sein Angesicht zu und schenke dir Heil.“ Der Segen aus der Lesung hat in Jesus Gestalt und Gesicht bekommen. Jesus hat dieser Zusage ein Gesicht, SEIN Gesicht gegeben. In Jesus ist Gott bei uns und geht mit uns in ein neues Jahr und in jeden Tag – auch in solche Tage, die noch finster und unheimlich erscheinen.
Der Herr segne dich und behüte dich 2021. Der Herr, dessen Name Heil besagt, wende sein freundliches Angesicht dir zu. Auf diesen Glauben und auf dieses Vertrauen kommt es an, und den erbitten wir uns heute.
Im Evangelium hieß es: „Die Hirten kehrten zurück, rühmten Gott und priesen ihn für alles, was sie gehört und gesehen hatten.“ Nun liegt es an uns, dass die Botschaft Gottes Gehör bei uns findet – wie das Geläute der Glocken in der vergangenen Nacht, und dass wir die Botschaft vernehmbar weitergeben durch unser glaubwürdiges Zeugnis. Dann helfen wir mit, die Welt in eine gute Zukunft zu führen anno domini – im Jahre des Herrn – 2021.
Domkapitular Clemens Bieber
www.caritas-wuerzburg.de
Text zur Besinnung
Der frühere, inzwischen verstorbene,
Innsbrucker Bischof Reinhold Stecher (*1921 – + 2013)
schrieb:
„Wir brauchen das Erlebnis ‚Fels‘ in unserem Leben.
Wir brauchen den Felsen gültiger Wahrheit,
der nicht zerbröselt und zerbricht,
und wir brauchen den festen Griff der Überzeugung,
mit dem wir uns an dieser Wahrheit festhalten.“