Die Predigt im Wortlaut:
Der Weg einer demokratischen Gesellschaft ist ohne häufige Befragungen der Menschen kaum mehr denkbar. Nicht nur, dass Politikerinnen und Politiker ständig nach der Stimmung im Volk, nach der Mehrheitsmeinung, nach den Trends, nach ihrer Beliebtheit, nach ihren Wahlaussichten und der Beurteilung ihrer Politik im Lande fragen, die Meinung der Leute wird auch über bestimmte aktuelle Vorgänge – wie den YouTuber Rezo, die „Fridays for Future“-Demos, die Klimadebatte usw. – befragt, ebenso über Produkte auf dem Markt, über das Interesse an Reisezielen in der Touristikbranche. Sehr häufig werden derzeit Umfragen gestartet zur Bedeutung und Bewertung von Kirche und ihrem Wirken sowie des persönlichen Bezuges der Menschen zur Kirche.
Bei den gesellschaftlich relevanten Umfragen geht es nach meinem Eindruck zum einen um das Interesse der Menschen, aber auch um Stimmungen und Einfluss auf die Meinungsbildung. Sobald das Ergebnis vorliegt, wird darauf mehr oder weniger hektisch reagiert, um – soweit möglich – die Bedürfnisse der Menschen zufriedenzustellen. Das hat natürlich zur Folge, dass vielfach nicht mehr vorausschauend agiert, sondern nur noch reagiert wird.
Sehr verwunderlich ist, wenn innerhalb von Stunden die Ergebnisse von Umfragen zum gleichen Thema von unterschiedlichen Meinungsforschungsinstituten zum Teil völlig anders ausfallen.
So ist es z.B. in der Politik heute kaum mehr möglich, dass weitsichtige, kluge Menschen eine Entwicklung, ebenso eine Haltung und Meinung prägen, sondern die Repräsentanten unserer Gesellschaft zeigen sich immer häufiger sehr angepasst, um damit in der Gunst der Mehrheit zu bleiben.
Deshalb ist es interessant, dass sich auch Jesus dem Interesse der Menschen aussetzt, wenn er die Frage stellt: „Für wen halten mich die Leute?“ Wer bin ich in ihren Augen? Wie beurteilen sie das, was ich sage oder tue?
Obwohl er sich in seiner Botschaft nicht von ihrer Meinung abhängig macht, war sie ihm doch nicht gleichgültig. Für die Jünger war es aber in diesem Augenblick leicht, auf die Frage Jesu zu antworten, weil sie sich hinter der Meinung der anderen verstecken konnten. Sie brauchten nicht selbst Farbe zu bekennen: „Die einen halten Dich für den ... die anderen für jenen ...“
Darum wendet sich Jesus schließlich gezielt und ganz konkret mit der Frage an die Jünger: „Ihr aber, für wen haltet ihr mich?“ Es geht also um den ganz konkreten persönlichen Bezug zu Jesus und zu seiner Botschaft und nicht nur darum, noch so fromm aufzusagen, was wir über ihn gelernt oder gehört haben, und was wir halt von ihm wissen.
Deshalb gilt die Frage „Ihr aber, für wen haltet ihr mich?“ all denen, die sich zu ihm bekennen – damals wie heute. Und damit sind wir bei uns selbst: Wie denke ich über Jesus? Was bedeutet er mir in meinem Leben? Hat er Einfluß auf meinen Weg und mein Verhalten?
Auf diese Frage kann man – auch heute noch – im Grunde zwei unterschiedliche Antworten geben.
Die einen folgen im Leben mehr ihren Interessen; sie möchten ihre eigenen Bedürfnisse zufriedenstellen und allein auf ihre Kraft setzen. Sie sind mit dem zufrieden, was die Welt ihnen bietet. Von Jesus erwarten sie dabei eigentlich nicht allzu viel. Er soll allenfalls ihr „Sonntagsgefühl“, ihr Bedürfnis nach frommer Umrahmung des Lebens stillen. Mit der konkreten Lebens- und Alltagsrealität hat er aber herzlich wenig zu tun.
Die andere Gruppe wird von Petrus repräsentiert, der Jesus antwortet: Wir halten dich „für den Messias Gottes“. Dieses Bekenntnis hat gewaltige Konsequenzen, weil es sich nicht auf politische Macht, auf irdischen Reichtum und diesseitigen Erfolg beschränkt, sondern weil es die Dimension des Himmels in die Lebenswirklichkeit hineinnimmt und in den Alltag hier und jetzt einbezieht. Unser Leben ereignet sich damit nicht nur im Blick auf die Welt, sondern auch in der Verantwortung vor Gott.
Wenn wir heute – so wie Petrus – zu bekennen bereit sind „Du bist der Messias“, dann heißt das doch eigentlich, „Du verbürgst Leben und Heil“, „Deine Wegweisung ist entscheidend für das Leben“. Das wiederum muss Konsequenzen haben in unserem Umgang mit dem Leben, in unserer Beurteilung, was ist Leben.
Ob es dabei um den immer wieder geringschätzig bewerteten „Zellhaufen“ eines heranwachsenden neuen Lebens im Mutterleib geht oder um das schwache, kranke, behinderte, alte, gebrechliche, völlig hilflose, sterbende Leben, oder es um unsere Solidarität mit den Menschen geht, die weit weniger zum Leben haben als wir, auch um diejenigen, die weit außerhalb unseres Gesichtskreises leben, all das zählt, erweist sich als Konsequenz.
„Du bist der Messias“, „Du bist der Heiland“ – wo Menschen in seinem Namen handeln, da wird schon auf dieser Erde, mitten in unserer Welt, mitten im Alltag Heil-Land erfahrbar.
Bei vielen Impulsen, die ich z.B. bei Fortbildungen für berufliche wie auch ehrenamtliche Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Caritas geben darf, versuche ich stets deutlich zu machen, dass das Bekenntnis zu Jesus auch deutlich werden muss in unserem Umgang mit der Welt und ihren Herausforderungen und damit auch in unserem Wirken als Caritas der Kirche im Dienst an den einzelnen Menschen.
Weil derzeit die Rufe lauter werden nach Reformen und einer Veränderung in der Gesellschaft, nach dem Wandel der Lebensstile, nach Globalisierung usw., braucht es in dem notwendigen Diskurs unseren glaubwürdigen Beitrag als Christen – und zwar in Wort und Tat.
Kommen wir also zurück zur Ausgangsfrage: „Für wen haltet ihr mich?“ Wenn Jesus uns so fragt, dann sollten wir – ganz gleich in welchem Zusammenhang, um welchen Lebensbereich es sich handelt – aus ganzem Herzen so antworten können: Wir halten dich für einen, der für das Leben ist und das Leben liebt und uns mit seiner Liebe zum Leben ergriffen hat!
Wer aber Feuer und Flamme für Jesus ist, der kann auch für andere brennen und andere Menschen anstecken, entzünden, der bringt Licht in die vielen Fragen, Nöte und Herausforderungen unserer Gesellschaft, in die Aussichtslosigkeiten und Kurzsichtigkeiten der Menschen unserer Zeit, der sorgt dafür, dass das Leben nicht dunkel wird.
Wer eine klare, geprägte Haltung hat, der wird sich nicht abhängig machen von der Meinung anderer, die sich ständig ändern kann.
Die beste Antwort auf die Frage Jesu „Ihr aber, für wen haltet ihr mich?“ ist deshalb auch keine Wiedergabe einer aktuellen Stimmung. Die glaubwürdigste Antwort auf die Frage Jesu, wer er ist, ist unser eigener begeisterter Einsatz für das Leben.
Domkapitular Clemens Bieber
www.caritas-wuerzburg.de
Text zur Besinnung
„Wer ist Jesus für Dich?“,
wurde ein junger Mann gefragt.
Seine Antwort war kurz aber treffend:
„Einer, der für mich ist!“