„Wollen Sie Weinachten auf der Parkbank feiern?“, heißt es auf den großen Plakaten, die seit Wochen an den einschlägigen Stellen und in den karitativen Einrichtungen der Stadt prangen. Wer will das schon, wo doch daheim der Christbaum im warmen Wohnzimmer mit den Augen der adrett gekleideten Kinder um die Wette strahlt. Draußen nieselt es seit Stunden aus einem grauen Himmel vor sich hin. Und während viele von einer weißen Weihnacht träumen, sind jene Frauen und Männer, die die Feiertage auf Würzburgs Straßen verbringen, dankbar für die milden Temperaturen.
Nein, Weihnachten auf der Parkbank, finden Würzburgs Obdachlose auch nicht sonderlich romantisch. Natürlich halten Caritas und Diakonie ihre Türen offen, aber da reingehen, das fällt vielen schwer. Vielleicht kurz in die Wärmestube oder die Bahnhofsmission, auf einen Tee und ein Käsebrot. Man müsste sich an Regeln halten, die einem schon lange nicht mehr vertraut sind, und ob man den anderen, die dort Herberge gefunden haben, trauen kann? Und dann ist da dieses Virus, mit dem man sich nicht infizieren will. Draußen ist sicherer, draußen ist vertrauter.
Die weihnachtliche Andacht im Rosenbachpark ist wundervoll und außergewöhnlich. Im Hintergrund thront majestätisch die Würzburger Residenz, Sinnbild für alte Pracht, Macht und Herrlichkeit, heute Weltkulturerbe. Und als der „Herr Pfarrer“, es ist der Chef der Würzburger Caritas, Domkapitular Clemens Bieber, die Anwesenden begrüßt, hat der Himmel ein Einsehen, stellt den Tau von oben ab und hellt auf. Ein ungewöhnlicher Ort sei der Park schon, meint der Domkapitular, aber das war der Stall von Bethlehem schließlich auch. Und die Hirten auf freiem Feld? Letztlich einfache und oftmals arme Menschen. Aber sie sind es, die mit Hilfe der Engel den Stern entdecken, ihm folgen und sich über die Geburt Jesu freuen. Bieber liest die alte Geschichte, wie sie beim Evangelisten Lukas zu finden ist. Und Sozialarbeiterin Barbara Stehmann übersetzt sie ins Heute. Sie spricht über die große Sehnsucht nach Frieden und Licht, Nähe und Zärtlichkeit. Die Leute, die im Park auf Abstand bleiben, weil nicht nur Weihnachten, sondern auch Corona in der Luft liegt, rücken trotzdem ein wenig zusammen. Es tut gut, dass ihnen jemand sagt, dass die alte Geschichte etwas mit ihnen und ihrem Leben zu tun hat. Und damit sie das nicht so schnell vergessen, hat Stehmann für alle kleine Strohsterne dabei. Schlichtes Material und doch ein großartiges Symbol sei das. Wir sollten füreinander leuchtende Sterne sein, die mehr Licht in die Welt bringen, sagt die Sozialarbeiterin. Zwischendrin immer wieder weihnachtliche Bläsermusik und alles in allem ein richtiges Hochamt, wie sie es vielleicht noch aus Kindheitstagen kennen. Da sprangen sie am Heiligabend selbst noch um den geschmückten Christbaum und ahnten nichts von den Schicksalsschlägen, die sie Jahre später auf die Straße und in die Armut bringen würden. Jedem könne das passieren, sind sie sicher.
Mancher kann mit den schönen Worten gar nichts anfangen, sieht darin nur Kitsch, bleibt eher am Rande und freut sich auf den einfachen Kartoffelsalat, die warmen Würstchen und den heißen Kinderpunsch, die längst bereitstehen. Alles gehört zusammen: die stärkenden Geschichten und das Essen, das hier im Park ihr Festessen sein wird. Und dann sind da noch die Geschenke. Jeder bekommt einen Beutel voller leckerer und nützlicher Dinge. Vielleicht kann man untereinander ein wenig tauschen, die warmen Socken gegen das große Glas Frankfurter? Fünfzig Beutel hat der Förderverein gepackt. Dreißig finden im Rosenbachpark dankbare Abnehmerinnen und Abnehmer. Was übrigbleibt kommt in die Wärmestube.
Nach knapp einer Stunde leert sich der Park wieder: die einen fahren ins traute Heim, wo die Familie mit den Geschenken wartet, die anderen suchen sich einen warmen Ort oder eine windgeschützte Parkbank. In wenigen Stunden wird sich wieder die Nacht über die Stadt am Main senken. Vielleicht ergibt es sich, dass dann alle nach dem Sehnsuchtsstern Ausschau halten. Und wenn der Himmel verhangen ist, dann ist der Stern ganz schlicht aus Stroh.
Sebastian Schoknecht