Die Predigt im Wortlaut:
„Corona ist nicht das Ende: Das Beste kommt noch!“ Mit dem Verweis auf einen der letzten Songs von Frank Sinatra mit dem Titel „Das Beste kommt noch“ war am 4. Advent in einer großen Sonntagszeitung die Überschrift formuliert für den bemerkenswerten Artikel: „Die Pandemie hat Spuren hinterlassen. Aber die Krise zeigt auch, wie stabil die Gesellschaft ist, wenn Nächstenliebe gelebt wird.“
Doch wer verkündet diese Botschaft? Die Meldungen und Nachrichten, die den Großteil der Menschen erreichen, verweisen auf die zunehmende Gefährdung von immer neuen Virusvarianten – aktuell Omikron. Dazu kommen die Berichte über die Demonstrationen und Proteste von esoterischen Querdenkern, fundamentalistischen Christen, Reichsbürgern und Rechtsradikalen.
Unsere Gesellschaft ist in Bewegung geraten! Bindungen in gewachsene soziale Netze wie auch an Milieus, Parteien und Kirchen haben dramatisch nachgelassen. Wer gibt den Menschen gerade jetzt Halt und Orientierung, wer stärkt ihr Vertrauen, ihre Zuversicht?
Der bekannte Journalist Heribert Prantl hat für die Weihnachtsausgabe der Süddeutschen Zeitung einen lesenswerten Kommentar unter der Überschrift „Trost“ verfasst. Darin verweist er auf den „Isenheimer-Altar“, den Matthias Grünewald vor über 500 Jahren geschaffen hat. Das weltberühmte Kunstwerk erweist sich allerdings erst auf den zweiten Blick als Weihnachtsbild und zwar durch das zerschlissene Lendentuch, das den Gekreuzigten umgibt. Genau auf diesem Stück Stoff liegt auf einem anderen Bild des Isenheimer Altars das Jesuskind. „Das Stück Stoff wird zum Symbol … Es ist ein Stück Trost.“
Vor 500 Jahren, als das Kunstwerk entstand, waren Not, Elend und Sterben den Menschen tägliche Realität. Die Menschen flehten um Hilfe, so wie wir das heute an Wallfahrtsorten noch erleben. Doch der moderne Zeitgeist winkt ab oder macht sich sogar lustig darüber.
Aber ein Wunder ist nichts Äußeres, sondern wirkt im Innersten eines Menschen, in seinem Herzen. Deshalb schreibt Prantl: „… es ist kein Heilungswunder. Es ist ein Wunder, das nicht körperlich verändert, es ist ein Berührtwerden im Innersten.“ Dazu äußert ein bekannter Theologe: Erfahrungen, in denen wir unser Leben als stimmig erleben, Erfahrungen der Liebe, Zeiten, in denen wir Ja zum Leben sagen, „solche Zeiten wirken Wunder. Sie heilen den Geist, das Gemüt und sicher auch den Leib.“
Ist Weihnachten nicht ein deutlicher Hinweis auf dieses Berührtwerden mit dem Innersten, mit Gott? Doch genau dagegen wehrt sich der Zeitgenosse! Nur noch 13 Prozent der Deutschen werden an diesem Weihnachtsfest einen Gottesdienst mitfeiern.
Das Meinungsinstitut Allensbach hat in dieser Woche eine Umfrage veröffentlicht. Diese prognostiziert, dass 2021 das letzte Weihnachtsfest mit christlicher Bevölkerungsmehrheit sein könnte. 70 Prozent geben zwar an, dass das Christentum zu Deutschland gehöre, aber nur 23 Prozent der befragten Katholiken bekennen sich aktuell zu ihrer Kirche. Das entspricht knapp sechs Prozent der Gesamtbevölkerung. Von den Protestanten taten dies gerade zwölf Prozent, damit etwas mehr als drei Prozent der Bevölkerung.
Die Umfrage kommt zu der Erkenntnis, dass die Menschen zuerst den Glauben an die wesentlichen Inhalte des Christentums verlieren. Bereits seit Jahrzehnten habe eine Erosion des Christentums in Deutschland stattgefunden, so die Demoskopen, wenngleich religiöse Themen Konjunktur hätten wie z.B. „Wunder“, oder dass „in der Natur alles eine Seele hat, auch Tiere und Pflanzen“. 61 Prozent glauben an eine Seele, aber nur 46 Prozent an Gott und 37 Prozent, dass Jesus der Sohn Gottes ist. Kurzum: Gott ist „out“, Spiritualität ist „in“. Weiterhin stellt die Umfrage fest, dass die Ökologiebewegung viele religiöse Elemente enthält und derzeit wahrscheinlich der wichtigste Wettbewerber der christlichen Kirchen ist.
Nach der inneren Abwendung folgt in einem zweiten Schritt der Kirchenaustritt. Der dritte Schritt ist die Abwendung von der christlichen Kulturtradition, auch wenn diese eine gewisse Zeit lang ohne religiöse Fundierung mit einzelnen Ritualen weitergepflegt wird.
Was ist nun aber mit dem Trost, den die Botschaft von Weihnachten verheißt, nämlich dass Gott, dass seine Liebe zum Leben, seine Menschenfreundlichkeit uns trägt und hält, gerade auch in der schwierigsten Situation unseres Lebens – wie das am Isenheimer-Altar durch das zerrissene Leinentuch beim Neugeborenen und beim Gekreuzigten angedeutet wird.
Die Liebe, die vom menschgewordenen Gott ausgeht und Friede verheißt, ist keine Theorie, sondern erweist sich im Miteinander – wie z.B. in der Sorge um den Mitmenschen, im Dienst am Nächsten. Die trostvollen Wunder, von denen die Evangelien berichten, ereignen sich in der Begegnung Jesu mit den Menschen.
Deshalb sollten wir als Kirche, als Christen in der zunehmend säkularisierten Gesellschaft, unsere Botschaft offensiv in die Welt tragen, wenn auch „nur“ als eine wichtige Stimme unter vielen auf dem Markt der Meinungen. Dazu gehört die soziale Arbeit als konkreter Ausdruck eines Gottesdienstes, aber auch die Frohe Botschaft Jesu, die jedoch nur glaubhaft mit der Lebenshaltung bezeugt werden kann, die sich aus ihr ergibt.
Prantl schreibt in seinem Kommentar: „Die Krippe stillt die Sehnsucht nach Geborgenheit. … Die Weihnachtsgeschichte handelt von kleinen Leuten, die zwar in der Volkszählung des Kaisers gezählt werden, die aber eigentlich nichts zählen. In der Weihnachtsgeschichte zählen sie etwas, deshalb begegnet ihnen das Heilige. … diese Geschichte widersteht der Verzweiflung an der Welt … Sie hat eine klare Botschaft: Höchstes Wesen ist nicht ein Kaiser, sondern ein kleiner Mensch. So beginnt eine Gegengeschichte zur Machtgeschichte, eine Geschichte von der großen Umkehrung, die das Unterste zuoberst kehrt; in der sich einer, der Wunder wirken kann, ans Kreuz schlagen lässt.“
Deshalb kommt es auf diejenigen an, die der Not etwas Tröstliches, Heilvolles, Ermutigendes entgegensetzen, die einfach da sind, die unspektakulär das tun, was gerade ansteht. Menschen also, die sich nicht entmutigen lassen, die von Neuem anfangen, auch wenn so Vieles dagegenspricht. Es sind Menschen, die unsere Welt ein Stück besser machen. Gott sei Dank!
Damit bin ich wieder bei dem eingangs erwähnten Zitat von Frank Sinatra: „Corona ist nicht das Ende: Das Beste kommt noch“! Und wie es im Artikel hieß: „… wenn Nächstenliebe gelebt wird
Weihnachten verkündet die Botschaft, dass Gott in unsere Welt, in unser Leben kommt, dass wir IHM nicht egal sind. Wo diese Botschaft Menschen in ihrem Innersten berührt, gelingt es, dass Menschen einander ein gutes Wort schenken, selbst wenn sie sich zuvor geärgert haben. Es gelingt, ein Zeichen zu senden, wieder miteinander ins Gespräch kommen. Durch eine Geste, ein vielleicht nur kleines, aber wohlbedachtes Geschenk, wird das Herz eines Menschen berührt und Augen strahlen. Dann wird Weihnachten!
Also nicht die letzte Meldung zur Pandemie, die Verunsicherung verbreitet, sondern das Vertrauen, dass Gott uns entgegenkommt und uns begleitet mit seinem Segen auf all unseren Wegen, hat das letzte Wort. Dieses Vertrauen, das wir in dieser Nacht ahnen, gilt es zu festigen – auch durch unseren Umgang miteinander, der seit Weihnachten anders sein kann, denn es ist noch nicht alles verloren! „Das Beste kommt noch“, nämlich unser Gott, dem wir vertrauen und deshalb mit Zuversicht leben können!
Heribert Prantl beschließt seinen Kommentar zur Weihnachtsbotschaft so: „Deswegen hat sie solche Kraft, dass sie nun schon seit zweitausend Jahren erzählt wird. Es steckt Trost darin – vom Anfang bis zum Ende.“
Ob die Menschen wieder an die Botschaft von Weihnachten glauben und im Vertrauen auf den menschgewordenen Gott ihren Weg gehen und sich umeinander annehmen, hängt davon ab, wie wir den Glauben bezeugen.
Rose Ausländer, eine Jüdin, die unter dem Nazi-Terror zu leiden hatte und viele Repressalien aushielt, überlebte in einem Kellerversteck. In einem Gedicht schrieb sie:
„Die Menschen.
Immer sind es die Menschen – du weißt es.
Ihr Herz ist ein kleiner Stern, der die Erde erleuchtet.“
Wenn durch uns Licht in die Welt kommt, dann ist Weihnachten – nicht nur an den Feiertagen! „Corona ist nicht das Ende: Das Beste kommt noch!“
Domkapitular Clemens Bieber
www.caritas-wuerzburg.de
Text zur Besinnung
Wenn du dich satt gesehen hast
an dem Kind in der Krippe,
geh nicht fort.
Schau auch auf die,
die er um sich versammelt hat.
Bevor du gehst,
mach erst wieder
seine Augen zu deinen Augen,
seine Ohren zu deinen Ohren
und seinen Mund zu deinem Mund.
Mach seine Hände zu deinen Händen,
sein Lächeln zu deinem Lächeln
und seinen Gruß zu deinem Gruß.
Dann erkennst du in jedem Menschen
deinen Bruder, deine Schwester.
Wenn du ihre Tränen trocknest
und ihre Freude teilst,
dann ist Gottes Sohn wahrhaftig geboren.
Du darfst dich freuen,
alle Menschen können sich freuen,
können leben -
in dieser Nacht
und für immer.
Lothar Zenetti