Die Predigt im Wortlaut:
„Lockdown“ ist das Wort, das wie eine dunkle Wolke über unserem Leben schwebt. Viele empfinden den Lockdown als bedrückend. Inzwischen durchgeführte Studien sprechen von den psychischen Belastungen schon für Kinder und Jugendliche, aber auch für alte Menschen. Dem politisch geforderten Recht auf Homeoffice möchten inzwischen mehr und mehr derjenigen entfliehen, die seit über einem Jahr die persönlichen Kontakte und das soziale Miteinander am Arbeitsplatz vermissen. Das Leben der Vereine, die zum Zusammenhalt in der Gesellschaft beitragen, liegt brach. Die Kirchen können ihr gottesdienstliches wie auch pastorales Angebot nur sehr eingeschränkt anbieten. Der tägliche Bericht über die Inzidenzzahlen ist verbunden mit der Angst: „Wann wird bei uns wieder alles zugemacht!“
„Lockdown!“ – Unser Inneres wehrt sich dagegen. Wir brauchen persönliche Kontakte, wünschen uns die Nähe lieber, vertrauter Menschen, vermissen gerade in schwierigen Situationen den Beistand unserer Nächsten; denken Sie nur an die Situation in Krankenhäusern und Pflegeeinrichtungen. Menschen, die uns ganz nahestehen, sterben allein. Keiner hält ihnen die Hand. Gegen all das sträubt sich unser Empfinden.
Aber nicht nur solch schwierige Lebenssituationen machen uns zu schaffen. Schon im normalen, gewöhnlichen Alltag erwarten wir eine möglichst große Freizügigkeit und verwahren uns gegen Verbote, Ausgangsbeschränkungen und gegen jede Form von Lockdown. Doch der Protest in der aktuellen Situation gegen die Einschränkungen – sei es die Verweigerung einer Maske oder die lautstarke Anti-Corona-Demonstration auf Straßen und Plätzen – führt zur Verschlimmerung der Pandemie.
„Lockdown!“ – Was wir im Blick auf die Pandemie derzeit beobachten, erscheint mir symptomatisch für unseren Umgang mit dem Leben insgesamt: Wir wollen uneingeschränkte Freiheiten, möchten uns von niemandem etwas vorenthalten oder gar verbieten lassen. Diese Haltung, in der das eigene Ego sehr groß geschrieben wird verbunden mit der Einstellung „Ich kann tun und lassen, was ich will!“ – diese Einstellung zum Leben übersieht zumeist, dass meine Freiheit dort Grenzen hat, wo sie die Freiheit anderer verletzt.
Ob wir dabei an die wirtschaftliche oder soziale Gerechtigkeit denken, wo sich Arbeitnehmer in Verantwortung für eine Familie mit Kurzarbeitergeld begnügen müssen oder geringfügig Beschäftigte völlig leer ausgehen, derweil Konzerne, die wegen des Lockdowns während der Pandemie staatliche Unterstützungen kassieren, jetzt Bonuszahlungen an Vorstände zahlen oder an Aktionäre Dividenden ausschütten. Oder denken Sie an die immensen Vermittlungsprovisionen an einzelne – wohlgemerkt einzelne – Politiker für die Beschaffung von Schutzmasken, während selbst Geringverdiener jede einzelne Maske kaufen müssen. Wir dürfen aber nicht nur auf andere zeigen, sondern müssen stets überlegen, wo unser Konsumverhalten auch auf Kosten anderer – und sei es von Menschen oder gar Kindern – in anderen Kontinenten geht.
Wie die Ausbreitung von Covid 19 in all seinen Mutationen zur Gefahr für das Leben wird und das Miteinander einschränkt, wird auch das „Virus“ des Egoismus, der Habgier, der Überheblichkeit, des Neids, der Unbarmherzigkeit und der mangelnden Solidarität zur Bedrohung für das Leben und für unser Miteinander. Diesen Lockdown gilt es zu verhindern.
Wenn es um die geforderte und erwartete Freiheit geht, dann gilt es auch das Lebensrecht von Menschen – ob vor oder nach der Geburt – in Blick zu nehmen und ebenso die zunehmend größere Intensität in der Betreuung hilfs- und pflegebedürftiger Menschen. Es ist keineswegs human, darüber zu diskutieren, wie durch entsprechende Maßnahmen den betroffenen Menschen das Leid endgültig erspart werden könne, und deshalb dazu die entsprechenden gesetzlichen Voraussetzungen zu schaffen.
Eine einseitige Sicht des Lebens, die nur das Hier und Jetzt vor Augen hat, führt zur Sorge, im Leben zu kurz zu kommen und nicht alles auskosten zu können. Deshalb wird alles, was an die eigene begrenzte Lebenszeit – an den endgültigen „Lockdown“ erinnert – ausgeblendet. Die Devise scheint „Leben um jeden Preis“. Deshalb wird vielfach die Solidarität und persönlich praktizierte Unterstützung für Schwache, Gebrechliche und Behinderte vernachlässigt. In Folge davon wird dann auch das letzte der sieben Werke der Barmherzigkeit gemieden, nämlich Tote bestatten.
Der frühere Limburger Bischof Franz Kamphaus sagte einmal: „Frühere Generationen lebten dreißig, vierzig Jahre – plus ewig; heute leben sie nur noch siebzig, achtzig, neunzig Jahre und dann ist Schluss; das ewige Leben ist gestrichen …“ – Das wäre dann wirklich der ewige Lockdown! Und genau das hat Jesus verhindert! Er selbst lebte aus dem unendlichen Vertrauen auf Gott bis am Kreuz: „Vater, in deine Hände lege ich meinen Geist!“
Aus dieser Verbindung heraus wurde er nicht müde, Gott als den Vater des Lebens, der auch das Leben der Menschen will, zu verkünden und durch sein Wirken zu bezeugen. Darum hat er sich den Armen zugewendet, Kranke aufgerichtet, Hoffnungslose ermutigt, Blinden zum Durchblick verholfen, die begrenzte Lebensperspektive auf Gott hin geweitet, Menschen, die wie gelähmt waren und nicht mehr weiterkamen im Leben, hat er wieder bewegt und auf den Weg gebracht. Taube hat er hellhörig gemacht für die Botschaft Gottes, Geizigen das Herz geöffnet für die Not um sie herum, Traurige getröstet, Aussätzige und Ausgegrenzte zurückgeholt in die Gemeinschaft, schuldig Gewordenen zum neuen Anfang verholfen, Tote lebendig gemacht. Er ist Fremden, Menschen anderer Kulturen, mit Respekt begegnet und hat sie dadurch – wie die Frau am Jakobsbrunnen – neugierig gemacht für seine Sicht des Lebens. Er hat Frieden verheißen. Jesus hat die Menschen aus den vielfältigen „Lockdowns“ des Lebens herausgeholt.
Sein konsequentes Verhalten hat Jesus aber nicht nur Freunde gemacht. Weil er durch seine Botschaft, durch die Zeichen, die er gesetzt hat, durch die Wunder, die er gewirkt hat, durch die Überzeugung, die dadurch deutlich wurde, die gängige Lebens-, aber auch Glaubenspraxis in Frage gestellt hat, erfuhr er zunehmend mehr Ablehnung, ja sogar Feindschaft bis hin zum Entschluss, ihn aus der Welt zu schaffen. Weil er das Miteinander der Menschen im Blick hatte und durch seine Botschaft auch in die Gesellschaft hineingewirkt hat, ist er gefährlich geworden, ebenso weil er eine oberflächliche Frömmigkeit in Frage gestellt und ihre Sinnlosigkeit aufgedeckt hat, deswegen sollte am Kreuz der Lockdown über ihn verhängt werden. Und um die Endgültigkeit dieses Lockdowns deutlich zu machen, wurde das Grab versiegelt und Wachen davorgestellt.
Doch in der Nacht hat der Gott des Lebens in der Auferweckung Jesu deutlich gemacht, dass der Weg Jesu nicht in den Tod, sondern zum Leben führt. Damit hat Gott ein für alle Mal klar gemacht: Wenn wir dem Weg Jesu folgen, überwinden wir die vielen Lockdowns im Leben, im Umgang miteinander, finden wir zueinander und haben die Kraft, auch schwierige Situationen zu meistern. Doch um zum österlichen Glauben zu kommen, mussten die Jünger erst noch herauskommen aus ihrer Verängstigung und Verschlossenheit.
„Wer wird uns den Stein vom Grab wegnehmen“, fragten die Frauen, die in aller Frühe an Jesu Grab gingen. Und die Apostel, die danach kamen, sahen, dass der Stein schon weggewälzt war. Es ist also nicht menschliche Leistung, sondern die Tat Gottes, dem Leben zum Durchbruch zu verhelfen. Und wo immer Menschen sich umeinander kümmern und einander zum Leben bestärken, wo sie Not lindern und Mut machen, da wird SEINE Kraft deutlich.
Ostern ist die endgültige Zusage Gottes, dass ER das Leben will – selbst über den Tod hinaus. Ostern ist aber auch der Auftrag an uns, die Botschaft Gottes unter die Leute zu bringen – und das in einer Welt, die vorwiegend nur noch organisiert und verwaltet wird, in der nur Leistung und Profit zählen, in dieser Welt ist es wichtig, dass wir das Miteinander hoffnungsvoll und lebenswert gestalten und deshalb schon Kindern das Herz für die Frohe Botschaft Jesu weiten.
Die Lockdowns infolge der Bedrohung durch die Corona-Pandemie sind erforderlich, um die weitere Ausbreitung einzudämmen. Die vielfältigen Lockdowns im Miteinander, durch die sich menschliche Kälte ausbreitet, hat Jesus durch sein Wirken überwunden. In seiner Nachfolge haben Christen in allen Zeiten dem Leben zum Durchbruch verholfen und Zuversicht verbreitet, und damit den Gott bezeugt, der das Leben will, das nicht einmal im Tod untergeht.
In den letzten Tagen ist ein Bild millionenfach durch das Internet verbreitet worden. Es zeigt eine der typischen Grabkammern im Heiligen Land mit einem großen runden Stein davor. Auf dem verbreiteten Foto ist der Stein weggewälzt und das Grab offen. Das Bild spielt auf die Überlegungen von Virologen und Politikern an, über Ostern einen harten Lockdown zu verhängen. Darunter steht zu lesen: „… das mit der Ausgangssperre zu Ostern hat noch nie funktioniert!“ Die politische Botschaft dahinter lautet: Wir wollen uns nicht einschränken lassen!
Die christliche Botschaft zu Ostern ist viel wichtiger und weitreichender. Sie lautet: Wir brauchen uns nicht einschränken zu lassen; wenn wir der Frohen Botschaft Jesu folgen und SEINEN Weg gehen, dann endet unser Leben nicht in einem Grab, sondern führt zum Leben in Fülle bei Gott. Im Blick auf die Endgültigkeit des Todes und die Panik, vorher nichts versäumen zu wollen, sagt Gott durch den Engel am Grab Jesu: „Der Lockdown ist vorbei!“
Domkapitular Clemens Bieber
www.caritas-wuerzburg.de
Text zur Besinnung:
Auferstehung
Sie zählten dich unter die Missetäter
Sie beschlossen deinen Tod
Sie gruben dich ein
Doch es ging auf die gefährliche Saat
das unzerstörbare Leben
das brachte den Stein ins Rollen
Sie wollten dich unter die Erde bringen
aber sie brachten dich unter die Leute